
Ein Spiel: Geld
Kann man… gegen Geld sein? Genauer vielleicht: Können wir uns gegen Geld entscheiden? Die kurze Antwort ist vermutlich: Nein, solang wir mit der menschlichen Welt um uns herum zu tun haben wollen – oder müssen. Und darin steckt viel von der langen Antwort. Für die es sich lohnt, erst einmal festzustellen, was Geld nicht ist: Ein Phänomen der Natur. Geld – unsere Vorstellung davon, die Regeln seines Gebrauchs – ist kein Modell für das chemische, physikalische oder biologische Funktionieren unserer Welt. Das liest sich vielleicht banal und ist doch bemerkenswert, weil wir Geld oft genug ziemlich genau so behandeln – wie etwas, das unabhängig von uns existiert und die „echte“ oder „objektive“ Welt kennzeichnet.
Unser Spiel…
Besser denn als natürliche Realität lässt sich Geld dagegen als menschliches Spiel betrachten. Nicht in dem Sinn, das es immer heiter und folgenlos verliefe. (Was auch für andere Spiele bei näherer Betrachtung nicht gilt.) Sondern in dem Sinn, dass Geld seine eigene Realität erschafft, genauer: Wir als die Spielerinnen erschaffen eine Geldwelt mit Regeln, die wir bekräftigen, indem wir uns nach ihnen richten. Ein Spiel auch in dem Sinn, dass diese eigene Realität, diese Welt in dem Augenblick aufhört zu existieren, in dem wir aufhören, zu spielen. So, wie die Figuren eines Theaterstücks in dem Augenblick aufhören zu existieren, in dem sich die Schauspieler als sie selbst verbeugen.
Das Geldspiel allerdings ist gewaltig viel größer: Wir alle spielen es. Seit endlos vielen Generationen. Ein kollektives Verbeugen, Applaus (von wem?) – und Schluss, das ist nicht in Sicht und ich kann für mich sagen: auch nicht vorstellbar. (Abgesehen davon ist mir die Vorstellung, dass alle Menschen gleichzeitig dasselbe tun, äußerst unheimlich.) Und doch ist mit der Beschreibung von Geld als Spiel ein wichtiger Schritt gemacht, denn: Wenn wir uns sicher sind, dass das Geldspiel weder „das Leben“ oder „die Welt“ ist, noch ein Modell für das Leben oder die Welt, können wir betrachten, wie es ist, wenn wir das Spiel spielen – und wie, wenn nicht.
… nach einfachen Regeln
Dafür ist der Kern der Idee vom Geld entscheidend: Geld ist neutral, es ist inhaltsfrei, an nichts gebunden. Das macht es zum – im idealisierten Fall – universellen Tauschmittel. Es ist damit auch im ganz grundlegenden Sinn virtuell – eben, weil es an keine natürliche Erscheinung gebunden ist. Daraus folgen die Grunddynamiken des Geldspiels: Das Spiel funktioniert nur bei Ungleichheit. Mehr Geld ist immer besser als weniger Geld. Geld heute ist immer besser als Geld erst morgen. Besser ich habe das Geld als du hast es. Geld ist immer knapp.
Es ist leicht zu erkennen: Dieses Spiel bildet die komplexe, die unordentliche Welt kein bisschen ab. Und: Es ist ganz grundsätzlich im Konflikt mit einem verlässlichen, erfüllenden Zusammenleben. Die meisten unserer Werte haben im Geldspiel keine Entsprechung. Bezogen auf die Einzelne heißt das: Was uns im Geldspiel erfolgreich macht, macht uns nicht zu guten Eltern, Partnerinnen, Freunden, Nachbarn, Menschen. Der homo oeconomicus ist niemand, dem wir im eigenen Bett, im dunklen Parkhaus – oder überhaupt je begegnen wollen. Und, andersherum: Vielleicht sind gerade die Menschen, die in dem, was sie tun, mehr mit dem Physischen, mehr mit den Bedürfnissen ihrer Mitmenschen beschäftigt sind und weniger mit dem Virtuellen, weniger mit dem Geld selbst, oft wenig erfolgreich im Geldspiel. Eben weil der Charakter des Geldes und die Regeln des Spiels ihrem Handeln entgegengesetzt sind.
Aus dem Spiel
Ist Geld also böse – und die Menschheit verloren, weil wir es nicht aufgeben können? Nein. Geld ist gerade nicht böse – sondern eben amoralisch. Es hat keine Moral. Und ist gleichzeitig ein extrem wirkungsvolles Werkzeug. Zwei Eigenschaften, die es mit einem der ältesten Werkzeuge der Menschheit teilt: dem Messer. (Und mit vielen anderen wichtigen Werkzeugen wie dem Rad, dem Feuer, der Schrift.) Diese Analogie könnte auch helfen, einen anderen, einen guten Umgang mit dem Geld zu finden. Schließlich erscheint es uns normal, einen verantwortungsvollen Einsatz von Messern zu verhandeln, zu vereinbaren und zu üben. Selbstverständlich beschränken wir den Gebrauch auf Zwecke, die der Gesellschaft nützen oder ihr zumindest nicht schaden. Niemand käme auf den Gedanken, sich in seinem eigenen oder politischen Handeln von einer „Logik des Messers“ leiten zu lassen und erst recht niemand würde ernsthaft den Erfolg oder Wert eines Menschen, einer Gruppe, Organisation oder Gesellschaft in der Zahl der besessenen Messer oder der durchgeführten Schnitte messen. Selbstverständlich würden wir unser Schicksal niemals einem unserer Werkzeuge überlassen – und seien sie noch so praktisch oder liebgewonnen.
Also: Richten wir unser persönliches, vor allem aber gesellschaftliches Handeln daran aus, wie wir zusammen und auf dieser Erde leben wollen und können. Begrenzen wir die Rolle des Geldes dafür auf die eines nützlichen Werkzeugs unter vielen. Machen wir dafür möglichst viele Bereiche unseres Lebens möglichst unabhängig von den Grunddynamiken des Geldspiels. Begrenzen wir die Ungleichheit auf der Dimension Geld, um die Macht des Geldspiels über unsere Leben, unserer Welt zu verringern.
Ermöglichen wir einander, uns so wenig mit Geld zu beschäftigen, wie es nur geht.