Eine Treppe an einer steinernen Mauer; die oberen Stufen sind beleuchtet

Die schuldige Gestalterin

Als Kind – auch noch als Jugendlicher – fand ich das Versprechen der Marktwirtschaft geradezu zwingend überzeugend: Ein System, so beschaffen, dass es die egoistischen Impulse, die, wer wollte das bestreiten, wir Menschen nun einmal haben, aufnimmt und umsetzt in gemeinschaftlichen Nutzen. Genial!

Heute frage ich mich: Was, wenn mit der Prämisse etwas nicht stimmt? Was, wenn erst eine Armee Soldaten macht – und erst der Krieg Mörder? Was, wenn erst ein Markt uns zu Egoisten macht, die wir nicht sind, wo wir keine sein müssen? Und was, wenn diese menschliche Welt niemand wäre außer uns selbst – jeden Tag neu?

Gestalter oder Getriebene?

Dann wären wir Gestalter unseres gemeinsamen Lebens. Das ist kaum zu ertragen – immer dann, wenn dieses Leben hart ist und grausam. Dann scheint das einzig Annehmbare zu sein, dass wir nicht Gestalter sind, sondern Getriebene: Wen das Monster (der Umstände) jagt, der kann sich verzeihen, wenn er einfach rennt – und die Welt eine monströse sein lässt. Der ist nicht schuld am Leid der Anderen. Und dem eigenen.

Diese scheinbar direkte Bindung von Gestalten an Schuld, von Getriebensein an Entschuldbarkeit zeigt sich auf der Ebene des einzelnen Menschen zum Beispiel an der Art, wie wir über Krankheit sprechen: Wer viel Alkohol trinkt, den ermahnen wir – er müsste sich eben nur mal beherrschen. Wer noch mehr trinkt, „hat“ Alkoholismus. Bei ihm hat das Schicksal in Form einer Krankheit zugeschlagen – also etwas, das außerhalb seiner Persönlichkeit liegt. Wer oft niedergeschlagen ist, dem raten wir wohlmeinend, er möge doch mal etwas Schönes unternehmen. Wer dagegen nie mehr fröhlich ist, „hat“ eine Depression.

Können wir anders? Ja!

Könnten wir anders auf die Welt blicken? Neue Verbindungen schaffen? Uns als Gestalter sehen und doch wohlwollend sein mit uns? Die gestalterische Kraft wecken, die erst gemeinsam mit anderen wirken kann – und auch mit ihnen nachsichtig sein? Ich glaube: Ja, das können wir. Weil wir uns wahrscheinlich alle auch so kennen – aus einem Teil unseres Lebens oder von früher. Aus unserer Beziehung, unserem Dorf, unserer Kindheit. Aus unserer Familie, unserem Herzensprojekt, unserer Schule.

Auch in Zukunft werden wir manchmal Egoisten sein, uns selbst die Nächsten, weil die Welt eben ist, wie sie ist. Mal mit diebischer Freude feilschen, uns mal von allem Elend niederschmettern lassen. Aber immer weniger davon wäre schön. Und immer mehr von diesen Augenblicken, in denen wir einen anderen Blick haben. In denen wir uns tief verbunden fühlen mit uns und den anderen, weil wir gemeinsam eine Welt schaffen, die gut ist für uns.